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Aufhören, wenn es gut ist: Warum wir gute Ergebnisse oft „verschlimmbessern“

Im Handwerk, beim Bauen, in der Küche oder am Schreibtisch: Kaum etwas ist so schwer, wie aufzuhören, wenn etwas „gut genug“ ist. Statt das gelungene Ergebnis zu akzeptieren, wird weitergearbeitet, verbessert, optimiert – bis die Qualität sinkt oder das Ergebnis ruiniert ist.

Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von einem typischen Selbsttäuschungsmechanismus: dem Glauben, dass mehr Aufwand automatisch zu besseren Resultaten führt.

Das Problem mit dem „gut genug“

Das Sprichwort „Nimm nicht das Erstbeste“ klingt nach Vernunft. Doch es verleitet zu einer Haltung, die im schöpferischen Schaffen oft kontraproduktiv ist. Denn nicht selten ist das Erstbeste tatsächlich das Beste – zumindest das Angemessenste.

Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert A. Simon prägte dafür den Begriff „Satisficing“. Er beschreibt damit das Verhalten, Entscheidungen zu treffen, die „gut genug“ sind, statt endlos nach der perfekten Lösung zu suchen. Dieses Prinzip spart Energie, Zeit und Ressourcen – doch viele Menschen empfinden genau das als unbefriedigend.

„Perfektionisten glauben, dass jedes Ergebnis mit mehr Aufwand verbessert werden kann“, erklärt die australische Psychologin Rebecca Lawson, die seit Jahren zu Leistungs- und Perfektionsverhalten forscht. „Das führt dazu, dass sie über das Ziel hinausschießen – der Grenznutzen kippt, und das Ergebnis wird schlechter.“

Wenn das Bessermachen schadet

Im Innenausbau eines Hauses lässt sich dieses Phänomen besonders gut beobachten. Hat der Bauherr eine Wand verputzt, die gleichmäßig und sauber aussieht, beginnt oft das Grübeln: Könnte die Oberfläche noch glatter werden? Sollte man eine andere Farbe wählen? Vielleicht eine aufwendigere Lichtleiste einbauen?

Was als Qualitätsstreben beginnt, wird schnell zur Endlosschleife. Jede Veränderung greift in ein fertiges Ergebnis ein, bringt neue Baustellen und erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit. Am Ende ist die Wand nicht besser, sondern fleckig oder beschädigt – ein klassischer Fall von „Verschlimmbesserung“.

Psychologisch lässt sich das erklären: Menschen reagieren stark auf den Wunsch nach Kontrolle. Eine begonnene Aufgabe loszulassen, bedeutet, ein Stück Kontrolle abzugeben. „Wir überschätzen, wie viel Einfluss wir durch zusätzlichen Aufwand wirklich haben“, sagt die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Katharina Grünewald aus Köln. „Viele halten das erste gute Ergebnis nicht aus, weil es unvollkommen wirkt – obwohl es völlig ausreicht.“

Die Illusion der Perfektion

In der Arbeitspsychologie wird dieser Effekt als Teil des sogenannten „Overworking Bias“ beschrieben – der Tendenz, mehr Arbeit zu investieren, als objektiv sinnvoll ist. Laut Forschungen des Instituts für Arbeitspsychologie der Universität Bern führt dieses Verhalten oft zu Stress, Frustration und geringerer Zufriedenheit mit den eigenen Ergebnissen.

Denn wer nie zufrieden ist, kann sich auch nicht über Fortschritte freuen. „Das Streben nach Perfektion ist eine Sackgasse“, schreibt die Psychologin Sharon Martin in der Fachzeitschrift Psychotherapy Networker. „Es gibt immer etwas, das man hätte anders machen können. Doch das Perfekte existiert nur im Kopf, nie in der Realität.“

Gerade im kreativen Bereich – etwa beim Entwurf eines Innenraums – ist der erste Entwurf oft der spontanste und klarste. „Unser intuitiver Erstentwurf spiegelt meist das stimmigste Zusammenspiel von Funktion, Raumgefühl und Ästhetik wider“, sagt der Berliner Innenarchitekt Henning Meyer. „Je länger man danach sucht, desto weiter entfernt man sich davon.“

Warum das „Erstbeste“ oft das Beste ist

Der psychologische Mechanismus hat evolutionsbiologische Wurzeln. Menschen sind darauf programmiert, Lösungen zu optimieren – eine Fähigkeit, die beim Werkzeugbau oder in der Jagd von Vorteil war. In der heutigen Zeit aber, in der Perfektion jederzeit scheinbar erreichbar ist, wird dieser Antrieb leicht zum Problem.

Auch im Alltag spielt das eine Rolle: Beim Einkaufen etwa führt die endlose Suche nach dem besten Produkt dazu, dass Konsumenten unzufriedener sind als jene, die sich für das erstbeste passende entscheiden. Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz spricht in diesem Zusammenhang vom „Paradox of Choice“ – zu viele Optionen lähmen die Entscheidung und fördern Unzufriedenheit.

Beim Bauen oder Renovieren zeigt sich dieses Paradox in anderer Form: Wer zu viele Entscheidungen hinterfragt, verzögert den Baufortschritt und treibt die Kosten in die Höhe.

Was hilft gegen das Verschlimmbessern

Psychologen empfehlen, vor Beginn eines Projekts feste Kriterien zu definieren, wann ein Ergebnis „ausreichend gut“ ist. Wird dieser Punkt erreicht, sollte bewusst Schluss gemacht werden. Auch Pausen helfen, den Blick zu schärfen: Nach einer Nacht Abstand wirkt vieles plötzlich stimmiger, als es im Moment der Unruhe erschien.

Hilfreich ist auch, andere in die Beurteilung einzubeziehen – besonders bei handwerklichen Arbeiten. Außenstehende erkennen eher, dass das Ergebnis längst gelungen ist.

Wer sich das Prinzip des „Good enough“ bewusst macht, arbeitet effizienter, zufriedener und langfristig erfolgreicher. Denn Perfektion ist selten die beste Strategie – vor allem im kreativen und handwerklichen Bereich.

Warum das Erstbeste doch oft das Richtige ist

Der Drang, ein Ergebnis immer weiter zu verbessern, entspringt dem Wunsch nach Kontrolle und Perfektion. Doch dieser Impuls führt häufig dazu, dass gute Ergebnisse verschlechtert werden.

Im Innenausbau wie in vielen Lebensbereichen gilt: Das Erstbeste ist oft das Richtige. Wer sich erlaubt, ein Werk als „gut genug“ anzusehen, gewinnt Zeit, Gelassenheit und Freude am Tun – und erspart sich die Erfahrung, das Gute durch das vermeintlich Bessere ruiniert zu haben.

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